Die alte Dame, die ihren Hut nahm und untertauchte: Roman (German Edition) by Leena Parkkinen

Die alte Dame, die ihren Hut nahm und untertauchte: Roman (German Edition) by Leena Parkkinen

Autor:Leena Parkkinen [Parkkinen, Leena]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Limes Verlag
veröffentlicht: 2015-01-24T16:00:00+00:00


Am Gewächshaus war eine Scheibe kaputt. Das Geräusch in der Nacht, dachte Karen, das war sicher ein Vogel. Sie knotete ihren Morgenmantel zu. Er war aus gestepptem Satin und uralt, stammte noch aus ihrer Pariser Zeit. Darin eingehüllt, fühlte sie sich zugleich als Abenteurerin und wunderbar warm. Doch draußen war von einem Vogel keine Spur. Sie würde jemanden bitten müssen, eine neue Scheibe einzusetzen. Es wäre schade um das Gewächshaus, das noch aus dem neunzehnten Jahrhundert stammte und regelrecht antik war. Ursprünglich hatte es zum Garten der Frau des Bergwerksdirektors gehört. In der Zeit, als es auf der Insel noch Bergleute gegeben hatte und eine Eisenerzgrube betrieben worden war. In einer Zeit, als hier noch reges Leben geherrscht hatte. In der Zeit vor dem Krieg, an die sich Karen Jahr für Jahr immer schlechter erinnern konnte. Genauer gesagt erinnerte sie sich natürlich immer noch daran, nur fiel es ihr manchmal schwer zu unterscheiden, was in ihren Erinnerungen real war und was ein Produkt ihrer Fantasie. Es gab so viele Karens. Das Kind Karen aus Fetknoppen, die verheiratete Karen mit ihren Kittelschürzen und Friseurterminen, die geschiedene Abenteurerin, die sie während ihrer Zeit in Deutschland als Mauer zwischen sich und der Welt erschaffen hatte, die Großmutter Karen mit ihren brüchigen Fingernägeln und einer Anfälligkeit für Harnwegentzündungen.

Der Morgen war feucht. Karen zog das Tuch fester um sich und beschloss, die Schäden im Gewächshaus in Augenschein zu nehmen. Vielleicht kannte Aune II. ja jemanden, der die Scheibe reparieren konnte. Es war schließlich immer noch nicht zu spät, etwas einzupflanzen. Eigenes Gemüse zu züchten, Kürbisse und Ringelblumen, Schoten, die sich an den Wänden emporrankten. Vielleicht sollten sie den ganzen Sommer über hierbleiben, sie und das Mädchen. Es konnte ohnehin nicht schaden, wenn irgendjemand hier endlich mal wieder alles auf Vordermann brachte. Wer weiß, vielleicht würde eines Tages eines von Eriks Kindern das Haus als Ferienhaus nutzen wollen. Bis dahin würde das Gerede hoffentlich aufgehört haben.

Karen sah auf den Boden zu ihren Füßen. Direkt vor ihr auf der Erde lag ein Stein, an dem ein Zettel befestigt war – gerade wie in einem Comic. Karen riss den Bindfaden von dem Stein, noch ehe ihr der Gedanke an Fingerabdrücke kam.

»NIEMAND WILL DICH UND DEINE MÖRDERSIPPE HIERHABEN. VERSCHWINDE!«

Karen seufzte. Sie hatte geheiratet, ihren Namen geändert, und doch war sie wieder hierher zurückgekehrt – in ein Dorf, das nicht vergaß.

Als Kind war an Karen nichts sonderlich auffällig gewesen. Sie mochte Hühner, lernte mit vier Jahren, drei Züge zu schwimmen, und bekam die Windpocken zur selben Zeit wie all die anderen Kinder im Dorf. Aus der Rückschau betrachtet, war ihr Leben angesichts der Umstände zuvor wirklich gewöhnlich gewesen – bis sie achtzehn und in den Augen der Leute zur Schwester eines Mörders geworden war. Sie war die Tochter des Tierarztes gewesen, hatte von Filmstars geträumt und ihren älteren Bruder vergöttert, sich in einen Jungen verliebt und ihn im Heidekraut geküsst. Und auch nach dem Mord hatte sie sich so normal wie möglich verhalten. Sie hatte geheiratet, einen Sohn bekommen und sich wieder scheiden lassen, nachdem sie ihren Mann mit dem Laufmädchen der Firma erwischt hatte.



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